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DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG 

 

Jenny V. Wirschky

 

„Es geht um die Oberfläche der Welt. Um das, was sie uns scheinbar bedeutet“  – J. Hein

 

Die ungreifbare Beschaffenheit der Dinge ist der weltliche Bezug seiner Bilder. Sie sollen nicht das Leben erklären, nicht das, was man sich von ihnen wünscht. Denn es sind die Fragen, die Jochen Hein zu seinen Motiven führen. 

 

 

Die Frage nach dem Sein führt ihn in seinen Bildern zu dem, was wir sehen. Als Hauptsinneseindruck. Und dennoch bedeutet das Sehen für ihn  nur ein „zartes Tasten in dem, was uns wirklich umgibt“. Die „Hilflosigkeit“, die sich dadurch ergibt, dass wir „niemals den Vorhang heben werden, vor dem, was wir werden wollen und was wir nie werden“.  Insofern beschreibt Jochen Hein seine Kunst als Illusionismus, der dem Fakt gerecht wird, dass wir nicht erkennen, was wir sehen. 

Diese Beziehung zu den eigenen Werken spiegelt sich unmittelbar in der Technik wider: Hein erschafft für jedes Motiv, jedes Bild einen Untergrund auf der Leinwand, der die künftige Struktur des Bildes bestimmt. Pinselstriche und Farbe sind abhängig von diesen primären Schichten, nicht anders herum. Und dennoch finden sich im „fertigen“ Gemälde Elemente des Hintergrundes ganz vorne – weil sein Verfahren vor allem den Lichtreflexen dient. So beginnt zum Beispiel seine „Lichtung“ aus dem Schatten heraus, mit „dem Nichts“ – alles andere wird hinzugesetzt.

 

 

Symphonie von Parkerscheinungen

 

Die Naturstudien beginnen für Hein mit der genauen Beobachtung dessen, was ihn umgibt und führen ihn zu einem exakten Umsetzen der Eindrücke. So ist für ihn der Husumer Schloßpark die Mutter aller Parks, weil er ihn von klein auf in jedem Licht betrachten konnte . 

Alles geht bei ihm zurück auf diesen konkreten Ort, inzwischen hat sich sein Schaffen jedoch vollkommen transzendiert in einer Technik, einer Psychologie des Malens, die freie Motive erschaffen kann, in der jeder einen eigenen Ort sieht. Das Betrachten ist dabei unabhängig vom Malen. Die Manie des Künstler treibt aber nicht nur zum ewigen Betrachten als solches, sie verändert auch die Wahrnehmung bereits abgebildete Eindrücke. Das Malen verändert sein Sehen und selten steht er vor einer Leinwand und verspürt den Drang, das, was er gemalt hat, tatsächlich noch einmal zu sehen.  Und steht er wieder davor, ist da sofort wieder der Drang das Unbegreifliche noch einmal ganz neu, ganz anders fassen zu wollen.

 

 

Die Werkphasen

 

Jochen Hein hat seine Motive. Gräser, Wolken, Wasser, Menschen… soviel wird deutlich. Doch obgleich sein Werk vermuten ließe, er würde gebunden an diese Themen arbeiten – seine Herangehensweise ist eine andere. Er geht auch „parallel von Gras zu Meer“, kommt mir unvollendeten Bildern zurecht und schafft sich damit die Möglichkeit, an mehreren Bildern zeitgleich zu arbeiten. „Man muss sich natürlich mit dem einen Bild auch so befassen, dass es mal gar nichts anderes gibt. Insofern ist das nächste Bild immer das wichtigste, aber es gibt immer viele nächste Bilder und ich weiß nie vorher, in welchem Rhythmus sie rauskommen“, beschreibt Hein seine Arbeit und lässt damit immer auch die Überraschung zu, was als nächstes kommt. Seine letzte Serie waren acht Quadrate, die allesamt einen niedrigen Meereshorizont mit lichtvollen Wettererscheinungen zeigen und vier kleine Monumental-Querformate. „Die musste ich rein der Umstände halber unterbrechen – und ich weiß nicht, ob ich da wieder reinkomme. Es kann sein, dass es wieder Jahre dauert. Ich hoffe nicht.“

 

 

Meister und Musen

 

„Sonnenuntergänge trauen sich nur Menschen ohne Talent. Normalerweise“ –nonchalant und dabei bemerkenswert charmant. Keine Attitüde, sondern trockener Humor. Solche Motive als „Anlässe für die Kunst zurückzugewinnen“, umtreibt den Künstler bei all seinen Werken. Sei es Wasser, Sturm oder Gras. 

Mit kunstgeschichtlichem Blick lassen sich der Vor-Impressionist William Turner oder Präraffaelit John Everett Millais nennen, die den Maler – nicht inhaltlich sondern technisch – zu seinem gegenwärtigen Stil getrieben haben, aber ebenso Zeitgenossen wie Minimal-Künstler Robert Ryman. Da sind es nie die Künstler selbst, sondern einzelne Werke oder Werksgruppen, die sich im Schaffen Heins manifestiert haben. „Turner ist das Beispiel in der Malerei für Untergründe. Er hat zwar eine ganz andere Technik erarbeitet, hat viel gespachtelt und in diese Oberfläche dann zart lasierend Schmutz hineingerieben. Bei ihm waren es flache Strukturen, die die Patina gebildet haben.“ Es sind aber bei weitem nicht alle Gemälde eines Künstlers, die Jochen Hein packen. „Rembrandt hat drei endgültige Porträts gemacht. Der Rest interessiert mich nicht. Aber allein für diese drei Bilder würde ich ihn nicht missen wollen.“ Millais hat Hein vor allem mit seiner Firnis-Technik beeindruckt, die aussieht, als würde es gerade nass die Leinwand runterlaufen. Diese Frischheit beeindruckt Hein so sehr, dass er etwas Eigenes in dieser Dimension finden will. „Denk nach Junge! Dir muss was einfallen. Du kannst nicht weiterhin so malen, wenn man somalen kann. Wenn das soist... dann musst du so was finden.“ Und so ist Hein bei allen Themen immer weiter auf seinem Weg.

 

 

Aufbau der Werke

 

„Die Bilder machen was sie wollen“,  man muss sie also sich selbst überlassen. So ist der schwarze Hintergrund, ohne Raum, ohne Körper unabwendbares Markenzeichen eines Hein’schen Porträts (die er niemals nach Auftrag zeichnet, sondern nach dem Eindruck, den der Porträtierte bei ihm im Vorfeld hinterlassen hat). Die Lebendigkeit und Unordnung, die sonst beim Gras oder der Gischt in Erscheinung tritt, finden sich hier in einem kleineren Maßstab, in der Mikroperspektive. Die Präsenz des Menschen ergibt sich nicht ausschließlich durch die 1:1-Abbildung, sondern durch die Lichtreflexe, die Strukturen des Untergrundes und den Auftrag der Farben, die vor allem durch Auslassungen auf der Leinwand ihren leuchtenden, mehrdimensionalen Effekt entwickeln. 

 

 

Das Sein bestimmt das Sehen

 

Der Zustand, in dem wir uns befinden ermöglicht uns ein jeweiliges Sehen der Dinge. Doch es gibt Motive, die den Künstler seit frühester Kindheit beschäftigen. Es sind vor allem solche, „die überall auf der Welt so sind. Wenn eine Regenfront durchzieht, ist es egal, ob sie das auf Papua Neuguinea tut oder auf Föhr – es sieht immer gleich aus und bringt immer die gleichen Empfinden hervor. Es gibt also etwas Universelles.“ Es sind die Dinge, bei denen Jochen Hein das erste mal ins Staunen geriet, was für ihn „niemals umsonst gewesen sein kann“. Man könnte Hein also in mehrfacher Hinsicht als Opfer der Umstände bezeichnen – aufgewachsen im nordischen Husum mit seinem wilden Meer, ausgestattet mit dem Blick und einer pointiertes Hand-Auge-Koordination, gesegnet mit der Wahrnehmung eines empfindsamen Malers ist seine Sozialisation er Weg zum Sein eines Künstlers.

 

 

 

Technik der Wahrhaftigkeit

 

Menschen in Bildern haben Hein immer gestört, weil sie ihn abgelenkt haben, zur Frage getrieben haben, wer das ist, statt zur Frage, was das Kunstwerk ist. Zuviel psychologischer Nebeneffekt. Trotzdem (oder vielleicht deshalb) arbeitete Hein auf eine malerische Reife hin, etwas Bewegliches wie den Menschen abbilden zu können. „Meine Porträts sind reine Psychologie. Zunächst soll es wie eine Begegnung mit einem Menschen sein und erst dann kommt das Bild“,  sagt der Künstler mit Blick auf die 1:1- Abbildung Klaus von Dohnanyis.  Angefangen hat Jochen Hein mit Porträts seiner Familie. Denn die kennt man inn- und auswendig. Ideale Voraussetzung, um originalgetreu zu malen. Heute misst er Pupillenabstände und Ohrenlänge seiner Subjekt-Objekte. Es soll wahrhaftig sein.  Nicht bloß echt scheinen.

 

 

Genie und Wahnsinn

 

Jochen Hein malt nicht, weil es sein Beruf ist. Berufung vielleicht. Aber keine Arbeit. Der Künstler, der die Welt einfängt und ihr eine neue Plastizität verschafft, hat „zeitlebens gearbeitet, um frei malen zu können“. Das Malen war also immer Belohnung. Die Momente, in denen dann die Übertragung von Kopf auf Leinwand nicht funktioniert, lässt Hein es lieber bleiben. Das ist der Instinkt der Selbstüberlistung. Der funktioniert. Meistens. Wenn er trotzdem weiter macht, findet man den Maler wie in einem der klassischen Künstlerromane in seinem Atelier wüten. Eine zerstörte Leinwand erinnert an diese Schaffensverzweiflung und mahnt ihn zugleich zur Geduld. Ein Künstler braucht diese Extreme. Sie sind Grundlage für alles, was durch ihn zur Welt kommt. Sie unterscheiden Jochen Hein von den Farbhandwerkern, die mit einem Zuviel auszugleichen versuchen, was ihren Motiven und Werken im Eigentlichen fehlt: Substanz.

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