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MALEREI ZWISCHEN TROTZ UND TROST

 

Interview: Rüdiger Otto von Brocken

 

„Die Zeit ist hin – Landschaften und Porträts“ heißt die aktuelle Ausstellung im Nordfriesland-Museum. Für Jochen Hein, dessen Werke dort gezeigt werden, ist es eine Art Heimspiel. Der Wahl-Hamburger wurde in Husum geboren und hatte im „Nissenhaus“ erste Berührungen mit

seiner späteren Leidenschaft und Profession. Im Interview wirft er einen Blick auf Vergangenheit und Gegenwart, aber auch in die Zukunft.

 

Wann haben Sie Ihr Talent für die Malerei entdeckt?

 

Hein: Das war schon vor der Schulzeit, so im Alter von drei Jahren. Da habe ich festgestellt, 

dass ich kein Jungs-Junge bin und dass ich mit Bällen weniger anfangen kann als mit Buntstiften. Danach habe ich Punkte mit meinem guten Gedächtnis gesammelt. Wenn jemand sagte, mal mir doch mal einen Porsche, dann war ich in Held. Aber auf dem Fußballplatz war ich dagegen ne Flasche. Ja, das ist schon eine Veranlagung, die sich nicht

leugnen lässt. Aber es war auch nicht so, dass ich von Anfangwusste, was ich damit anfange.

Mir war nur klar, dass ich mich mit der Malerei beschäftigen möchte, die mich am tiefsten

bewegt. Und die habe ich hier im Nissenhaus gefunden.

 

In welcher Form?

 

Zuallererst war da der „Blanke Hans“ von Hans Peter Feddersen. Der hat mit seinem Wirbeln,

seiner Freiheit und seiner Komplexität so viele Gedanken zum Meer in mir ausgelöst,

dass mir erst Jahrzehnte später, als ich ihn wiedersah, klar wurde: Ach deswegen suchst du diesen Himmel, deswegen suchst du diese Linie am Horizont. Und so ist es natürlich

eine besondere Freude, an diese Geschichte anknüpfen zu können und andere

Menschen daran teilhaben zu lassen, was auf diesem langen Weg nach Hause kommt. Diesen

Wunsch zu formulieren habe ich mich aber gar nicht getraut. Das ist das Werk von Herrn Haupenthal, der ebenso selbstverständlich wie unerbittlich auf mich zukam und sagte: Das ist richtig und wichtig. Ansonsten hätte ich wahrscheinlich gedacht: Mein Gott, was interessiert hier in Husum, was ich mache.

Vor welchem Hintergrund wählen Sie Ihre Motive aus und warum haben Meerstücke dabei einen so hohen Stellenwert?

 

Also weniger das Schlickloch Husum als das offene, freie Meer. Dasl iegt sicher auch daran,

dass mein Großvater den Büsumer Yachtclub gegründet hat und ich weite Teile meiner

Jugend auf dem Wasser verbracht habe – und dort wo die Brandung tobt. Das war ein

erstes Erleben mit großen Erwartungen: Leben, Lust und Liebe. Sich dazu in Beziehung

zu setzen, ist ein Urimpuls seit der Romantik. Nur alle Antworten darauf taugen nichts. Wir sind immer noch am Anfang der Frage: Die Welt und ich – was soll das? Insofern ist es eigentlich die Sinn- und Gott-Frage, nur dass in meiner Vorstellung, in meinen Bildern kein Gott existiert. War auch gar nicht die Voraussetzung. Voraussetzung ist der Mensch, mit dem ich das teilen möchte – diese Empfindung und auch die vorläufigen Eindrücke und Bilder dazu. Insofern sind alle meine Arbeiten Annäherungen an dieses hilflose Unterfangen. Es ist ein Widerspruch

aus Trost und Trotz, wobei Trost das wichtigere Wort ist.

 

Sie mögen es nicht, wenn man Ihre Bilder als fotorealistisch bezeichnet.

Aber was ist daran verkehrt?

Also die Wirklichkeit, die man mit einem Foto einfängt, ist eine völlig andere als die, die

mich beschäftigt und die dann auch im Bild erscheint. Was ich mache, ist im Ergebnis etwas

völlig anderes als das, was ein Foto wiedergibt. Fotos geben den Moment wieder, Malerei

die Ewigkeit. 

 

In der heutigen Zeit halten viele das Tafelbild für tot. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen, und warum malen Sie Tafelbilder?

 

Na ja, das wäre ja so als würde man sagen der Tanz oder das Singen ist tot. Das sind doch

Impulse, die jedes Kind anwendet, weil sie funktionieren. Von der Höhlenmalerei bis heute ist eine Linie etwas, was unserer Kommunikation und unserem Wesen so entspricht, dass es dafür gar keinen Ersatz geben muss. Im Gegenteil: Man sieht eine ewige Evolution und 

Metamorphose parallel zu unseren Gedanken eben auch in der Ausdrucksform des gezeichneten oder gemalten Bildes – und die Bezüge, die die damit verbunden sind. Das

wird niemals stillstehen, das wird nicht zu Ende sein und ist auch durch nichts zu ersetzen.

Das ist eine eigene Disziplin. Ich gehe jetzt nicht hin und sage: Das ist die Königsdisziplin.

Das wäre Kinderkram. Aber für mich ist das einfach mein Medium. Und diejenigen, die

das totsagen, sind tatsächlich in mehreren Generationen schon selbst gestorben.

 

Zum Beispiel?

 

Na ja, Duchamp als Wegbereiter der Konzeptkunst zum  Beispiel – den ich im Übrigen sehr

schätze. Und dann gab es ja auch immer mal wieder Leute, die postuliert haben: Maler,

hört auf zu malen. Immendorff zum Beispiel. Hätt’ er man tun sollen. (Lacht) Oha. Die Tradition

der Malerei ist ungebrochen. Nur, dass sie halt eine Zeit lang nicht stattgefunden hat. Es gab aber auch die Zeit, in der Fotografie die Kunstwelt beherrschte. Das ist heute auch nicht mehr so. Die Reifheit einer Gesellschaft bedeutet in kunsthistorischem Sinne auch, dass man die Vielfalt erkennt und davon profitiert, so wie ich vom zentralen neuen Medium des 20. Jahrhunderts, dem Film, profitiert habe. Ich glaube, ich habe mehr Bilder durch die kleinen Fernseher, die wir damals hatten, in den Kopf bekommen als durch Museumsbesuche. Und was für eine Ästhetik das war! Die Mondlandung zum Beispiel. Ein Spektakel, bei dem man

nichts erkennen konnte. Das war eine Schule des Sehens, die in meiner Malerei ganz wesentlich ist. Der erste Schritt von Armstrong, der nicht zu sehen war, aber gleichzeitig 

so viele Informationen in unseren Köpfen auflöste, dass wir ihn uns vorstellen konnten. Ich versuche heute so unzulänglich zu sein, dass ich in meinen Bildern nicht zur Quasselstrippe werde und die Leute mit unnützen Informationen langweile.

 

Ein Porträt in Aspekte, Ausstellungen in der Hamburger Kunsthalle und in Alkersum. Erschreckt Sie der plötzliche Erfolg nicht manchmal selbst?

Ja (Pause, schmunzelt) . . . okay, nächste Frage . . . Nein, im Augenblick ist das eine tolle Balance, weil ich diese Energie, die es mir gibt, dass Menschen wirklich haben wollen, was ich mache, brauche. Sie gehen in die Ausstellungen, sie kaufen Kataloge, sie kaufen sogar Bilder, das ist tatsächlich etwas, das ich als sinnstiftend erlebe. Ich wollte nie Kunst machen, die erst durch Erklärungen von Kuratoren greifbar wird. Ich wollte das umdrehen. Nicht die Bilder sollten Kunst werden, sondern das, was sie auslösen. So wie bei einem Musiker. Da ist auch nicht das Instrument die Kunst, sondern die Musik. Das ist aber vielen Kuratoren und auch Journalistenbis heute hochverdächtig, dass ich einen Leim ausrolle, auf dem man kleben kann. Das macht mir aber nichts aus, denn inzwischen verstehen es die Leute ja und sagen: Natürlich

ist das relevante Malerei, auch wenn meine Putzfrau es schön findet.

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